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Die unsichtbare Stadt

Die unsichtbare Stadt

Labor für performatives Forschen

8. – 10.09.2017

Was ist ein Zu-hause? Und was ist eine Stadt? Kann eine Stadt als eine Ansammlung von temporären und festen Zuhausen gesehen werden? Können wir von Stadt als Wohnung sprechen? Und was bedeutet es, wenn im Grundgesetz unter Artikel 13 steht, die Wohnung sei “unverletzlich”? Und was bedeutet es, wenn knapp darunter, im Artikel 14 “Eigentum verpflichtet” steht. Zu was? Über Wohnen zu reden, bedeutet über unser Verständnis von Eigentum zu reden, erst recht in Frankfurt, wo die deutsche Hausbesetzerbewegung ihren Anfang genommen hat.

Das Labor versucht über Interviews mit Aktivist*innen der Bewegung “Eine Stadt für alle” diese Fragen wieder aufleben zu lassen.

Lisa Hahn ist Aktivistin bei der Initiative „Eine Stadt für alle – Wem gehört die AGB?”

Sie hat Humangeographie & Stadtforschung in Frankfurt studiert. Dabei hat sie sich immer mehr auf das Thema Wohnen konzentriert und ihre Abschlussarbeit zum Masterabschluss zu studentischem Wohnen geschrieben. Seit Oktober letztem Jahr arbeitet Lisa Hahn bei der Fraktion Die Linke im Frankfurter Rathaus im Bereich Planungs- und Wohnungspolitik und Stadtentwicklung als wissenschaftliche Referentin in der Kommunalpolitik.

Das Bündnis „Eine Stadt für alle – Wem gehört die AGB?” ist ein Treffpunkt für miet- und wohnungspolitische und nachbarschaftliche Initiativen aus Frankfurt (und Umgebung) und startet immer wieder verschiedene Aktionen und Kampagnen. Gerade geht es in der Kampagne “Wir sind die halbe Stadt” darum, einen qualitativ guten und langfristig günstigen sozialen Wohnungsbau in Frankfurt zu fordern.

Bilder machen Städte. Ob offizielles Marketing oder Selfies vor Sehenswürdigkeiten: Städte und öffentliche Räume werden oft auf das Visuelle reduziert. Dabei werden sie ganz besonders durch das geprägt, was nicht zu sehen ist, wie Infrastrukturen und Erinnerungen, Normen und Restriktionen, Planungen und vergessene Utopien. Unter der Oberfläche der Bilder versteckt sich die unsichtbare Stadt: Zum einen mit ihren unterschiedlichen Lebensformen, ihrer Geschichte, ihrem Werden und Vergehen; zum anderen mit ihren Grenzen, Ausgrenzungen und Ausschlüssen. Städte sind Räume in denen die Zukunft permanent verhandelt wird. Sie sind Speicher der Vergangenheit, Motoren der Gegenwart und Labore der Zukunft – im guten wie im schlechten Sinne.

Seit 2012 hält laPROF immer wieder Labore für performatives Forschen ab, um zeitgenössische künstlerische Arbeitsweisen offen zugänglich zu machen. Künstler_innen forschen in kleinen Laboren mit den Teilnehmenden an bestimmten Themen und machen dabei ihre Arbeitsweise und ihre ästhetische Haltung transparent. Am Wochenende 8.-10. September 2017 wird laPROF ein Labor für performative Stadtforschung organisieren. Die eingeladenen Künstler_innen werden mit den Teilnehmenden an verborgenen Themen und Geschichten in Frankfurt forschen. Folgende Künstler_innen werden dieses mal dabei sein:

Ligna (Performancekollektiv, Frankfurt/Hamburg): Aufbau und Abriss

Friendly Fire (Performancekollektiv/Leipzig): Orte des Protestes

Diana Wesser (Bildende Künstlerin und Performerin/Leipzig): Spuren jüdischer Geschichte

Eleonora Herder (Performancekünstlerin/Frankfurt) mit Lisa Hahn (Aktivistin „Eine Stadt für alle/Frankfurt): Zusammenleben

Die Veranstaltung wird im Studierendenhaus in Bockenheim ihre Basis haben, die Recherche soll überwiegend die Stadtteile Bockenheim und Westend umfassen. Die Labore erforschen konkrete Orte, ihre Geschichte, ihre Funktionsweise, was sie zeigen oder verbergen. Aus ihren Recherchen werden die Teilnehmenden am Ende des Wochenendes kleine Audio- oder Videotracks erstellen, die auf einer Webseite implementiert werden und dann wenn möglich an den jeweiligen Orten offen zugänglich gemacht werden. Es entsteht ein Pool an kleinen künstlerischen Interventionen. Kooperationspartner sind neben der Initiative offenes Haus der Kulturen das „Stadtlabor unterwegs“ des Historischen Museums sowie das Jüdische Museum.

Zu Beginn am Freitag gibt es eine Einführung von Jan Deck (freier Theatermacher/laPROF) und Patrick Primavesi (Professor für Theaterwissenschaften/Leipzig). Und im Anschluss einen Rundgang mit Stadtteilhistoriker Norbert Saßmannshausen, bevor die Labore beginnen.

Durch qualitative Interviews werden Daten in Form von Erzählungen und Aussagen über einen Sachverhalt generiert. Die Aussagen sind allerdings nicht Fakten oder Ansichten, die es als fixierte Einheiten dem Befragten zu entlocken gilt. Es handelt sich vielmehr um kommunikativ erzeugte Daten, die in einem Wechselspiel zwischen interviewter und interviewender Person, einschließlich ihrere verbalen und nonverbalen Interaktionen entstehen.

Dementsprechend wird der Kontext der Datenproduktion als immanenter Bestandteil der Daten selbst betrachtet. Der Interviewkontext sollte in die Analyse integriert werden.

Ein wesentlicher Teil davon geschieht durch die Selbstreflexion der Forschenden. Dazu gehört auch, sich der eigenen Position im Verhältnis zur interviewten Person, sowie zum Forschungsgegenstand bewusst zu werden.

Durch qualitative Interviews wird offensichtlich, was die Raumaneignung der einen mit den Ansprüchen, Rechten und Praktiken der anderen machen. Interviews können in diesem Sinne einen Beitrag zur Pluralisierung von Stadt leisten, sie können in der Formulierung und Explizierung von „Recht auf Stadt“ unterstützend sein. Es ist zudem deutlich geworden, dass die Stadt tatsächlich im Interview stattfindet– und nicht nur erinnert und erzählt wird. Wenn ein Interview vor Ort durchgeführt wird, wird nämlich nicht nur über Stadt geredet, sondern die am Interview Beteiligten stellen Stadt in der Interaktion her.