Die Krisenhaftigkeit sozialer Reproduktion macht Formen städtischen Sorgens erforderlich, die derzeit als „shadow care infrastructures“ (Power et al. 2022) diskutiert werden und jenseits dezidiert staatlicher und kleinfamiliärer Sorgekontexte stattfinden. In diesem Artikel arbeite ich heraus, wie im konkreten Alltag einer solidarischen Stadtteilkantine Sorge geleistet und empfangen wird, welche Herausforderungen damit einhergehen und inwiefern dabei hegemoniale urbane Sorgeverhältnisse herausfordert werden. Konzeptionell greift der Beitrag die wissenschaftlich-aktivistische Debatte um Sorgende Städte auf und verbindet diese mit radical care als analytischer Perspektive. Die empirischen Ergebnisse sind Teil einer sorgend-ethnographischen Fallstudie in der ada_kantine in Frankfurt am Main von 2022. Ausblickend umreiße ich, welche transgressiven Potenziale für eine „sorgende Urbanisierung“ (Strüver 2021) sich in diesen Sorgepraktiken andeuten.
Erschienen in sub\urban Zeitschrift für kritische Stadtforschung
Demokratie ist mehr als Institutionen und Prozesse – sie ist eine gelebte, verkörperte Praxis, die unser Zusammenleben prägt. Formations of Power – Performing Democracy untersucht die materiellen und performativen Dimensionen der Demokratie und fragt: Wie erleben wir Demokratie als Form des Zusammenlebens? Wer kann an der Gestaltung der Gesellschaft mitwirken, und wessen Stimmen werden gehört? Durch interdisziplinäre künstlerische und gestalterische Interventionen – von Theater über Tanz bis hin zu Augmented Reality – untersuchte das Performance-Programm während der Frankfurter Tage der Demokratie 2023 kritisch die Spannungen zwischen individueller Ausdrucksform und kollektivem politischem Handeln und hinterfragte die Grenzen der Repräsentation und die Ermüdung der neoliberalen Selbstoptimierung. Formations of Power positioniert den künstlerischen Ausdruck als treibende Kraft für die Gestaltung des demokratischen Lebens und sorgt dafür, dass Demokratie ein kontinuierlicher, partizipativer Akt bleibt und nicht zu einem statischen Ideal verkommt.
A Queerfeminist Perspective on the Intersections of Reproduction Work, Commons and Aesthetic Practices
Masterthesis M.A. Performative Arts in Social Fields
The text From the Academy of Work to a Collective Kitchen. A Queerfeminist Perspective on the Intersections of Reproduction Work, Commons and Aesthetic Practices is an analysis of the theoretical concepts of care, commons and art with an intersectional approach. The aim is to interlock different perspectives of social science, aesthetic theory, philosophy and gender studies in order to propose how the hegemonic social system can be made more equal. The basic assumption starts from the problematic of the prevailing (sexist and racist) neoliberal capitalism and sees in this social structuring the reason for unequal and partly unliveable living conditions. Spheres that could potentially become dangerous for those in power seem to be particularly affected here: care work, which cannot be completely integrated into the capitalist logic of efficiency; commonism as a socio-economic counter-model, in which the goal of social action is not exploitation, profit maximisation and constant economic growth, but resource conservation, environmental health and the principle of sharing; and finally art, as a sphere of emergence, reflection, experimentation and breaking out of habitual patterns, which can open our eyes and show us what capitalism tries to conceal from us: That we can think and act outside a fixed framework. This political kind of art is introduced here under the concept of Maintenance art. After first establishing structural similarities between the three areas, what then emerges from this analysis is, that it makes sense to link this triad. While they share common goals, such as community, democracy, equality and critique of domination – which makes them all targets for hegemony – they have different problems at other points. Although reproductive labour is already very established in our system (as it is inescapable), there are few resources and recognition for it. Commons, on the other hand, lack a broad mass of supporters. And art, while enjoying visibility, can and is repeatedly used for propagandistic purposes for this very reason. It is therefore proposed that the three areas can be brought together to form a complementary triad in which their respective specificities complement the problem points of the other areas, so that all three emerge strengthened from this connection. Especially considered is the role of Maintenance art, which as a “practical utopia” can equally develop an utopian, experimental potential through art autonomy, as well as already actively test parts of the utopian within the framework of the real art project. The role of art is thus to create a space for experimenting with the utopian. An example of this is the project ada_kantine in the old Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main, which illustrates the theory that was put forward in advance. The analysis of the project according to the three areas of reproduction, commons and aesthetic practices based on interviews with project participants shows that the collective kitchen can be seen as a “practical utopia”. Transforming a capitalist ideology of labour into collective care work is art.
Widerständige Zeitlichkeiten in Performance, Kunst, Theorie
Sich der linearen Zeit nicht fügen
Was ist Zeit, wenn sie nicht linear, progressiv und synchron verläuft? Angesichts gegenwärtiger und vergangener Krisen ist das Modell der einen Zeit vielfach in die Kritik geraten. Insbesondere in den szenischen Künsten findet in den letzten Jahren eine rege Auseinandersetzung damit statt, wie Zeit als Ressource, (koloniale) Infrastruktur und gelebte Erfahrung historische und gegenwärtige Herrschaftsverhältnisse strukturiert, aber eben auch, welche anderen Zeitlichkeitsentwürfe dem entgegengesetzt werden können.
Im Spannungsfeld von Philosophie, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft geht Julia Schade den historischen und gegenwärtigen Implikationen dessen nach, was in der westlichen Moderne als ‚Zeit‘ definiert und was davon ausgeschlossen wird. Im Fokus stehen dabei eben jene widerständigen Zeitlichkeiten in Theorie, Performance und Kunst, die sich der Vorstellung einer homogen messbaren Zeit nicht fügen.
Durch ihre Methode eines ‚Denkens im Material‘ zeigt die Autorin, wie in Arbeiten des südafrikanischen Künstlers William Kentridge, des libanesischen Theatermachers Rabih Mroué, des Frankfurter Kollektivs andpartnersincrime sowie der Berliner Performancekünstlerin Eva Meyer-Keller (de)koloniale, postapokalyptische, traumatische, spekulative, (queer)feministische sowie postanthropozentrische Zeitlichkeiten entworfen werden.
Unzeit verhandelt damit zum einen Figurationen der Unterbrechung, des Ereignisses und der Zäsur, wie sie durch poststrukturalistische Ansätze in Bezug auf ein Denken nach der Shoah geprägt und gegenwärtig durch Denker*innen aus dem Kontext der Black Studies und des Black Feminism weitergedacht werden, die auf die Zeitlichkeit des Nachlebens der Sklaverei und des Kolonialismus fokussieren. Zum anderen nimmt Julia Schade relationale Modelle in den Blick, welche die Verschränkungen eines Mehr-als-Menschlichen zu denken versuchen.
Circle (Imagine us together) ist Teil der Akademie der radikal Sorgetragenden, einem performativen Symposium von andpartnersincrime in Kooperation mit der ada_kantine im Rahmen des Festivals Politik im Freien Theater, gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. andpartnersincrime wird gefördert durch die Mehrjahresförderung des Kulturamts der Stadt Frankfurt.
Die bildende Künstlerin Mierle Ladermann Ukuele fragte bereits im Jahr 1969 in ihrem ‚Manifesto of Maintenance Art‘ was Kunst bedeutet, wenn sie sich als Sorgearbeit versteht. Ein zentraler Satz Ukeles, der uns dabei immer wieder umtrieben hat, war ihre Frage: „After the revolution, who’s going to pick up the garbage on Monday morning?“ Wer trägt die Sorgearbeit für die Revolution, für die Versammlung? Wer ist da, aber niemals sichtbar? Und inwiefern können diese Körper, die nicht verhandelt werden, Teil unserer künstlerischen Praxis werden? Was ist das für eine Versammlung, wenn diejenigen zusammenkommen, die sind, die im Theater erstmal nicht vorgesehen sind? Und wer sagt, dass diejenigen überhaupt im Theater erscheinen wollen? Wie müssen Institutionen strukturiert sein, damit diejenigen, die die Sorgearbeit für die Kunst tragen, auch Teil der Kunst sind? Wo und in welchen Formen kann in alltäglichen, in einer Routine performten Sorge- und Instandhaltungsarbeit ein künstlerisches Moment liegen?
Anhand dieser Fragestellungen arbeiten wir zurzeit an einer Aktualisierung des Manifestes von Ukeles aus gegenwärtiger feministischer und queerfeministischer Perspektive. Wir möchten uns mit anderen Künstler*innen, die sich auf der Schnittstelle zwischen Kunst und Community-Arbeit bewegen, vernetzen und mittels Interviews versuchen zu erörtern, welche räumlichen und zeitlichen Begebenheiten erforderlich sind, um Maintenance Art auf einer institutionelle Ebene zu ermöglichen. Wir möchten fragen, wie wir das System der Institutionen unterlaufen müssen, um die zu tragende Sorgearbeit als Teil der künstlerischen Praxis zu verstehen.
In Kooperation mit dem Künstlerhaus Mousonturm. Ermöglicht durch die #takecareresidenz des Fonds Darstellende Künste
Eleonora Lela Herder is working as a freelance director, curator and dramaturg in Frankfurt Main, Barcelona and Warsaw. Her work oscillates between performance and spatial installation. In her current work she deals with urbanist and city political topics.
She is the founder and artistic director of the interdisciplinary label andpartnersincrime and a member of the artist association ID_Frankfurt, where she also co-curated the site-specific performance festival IMPLANTIEREN in 2018 and 2020.
She received a scholarship at Theatertreffen Berlin in 2015 and at Bienal del arte Buenos Aires in 2017.
I’m an artist, I’m a manager, I’m an employer, I’m a woman, I’m a wife, I’m a lover, I’m a friend, I’m going to be a mother, I’m a daughter, I’m a sister, I’m a granddaughter, I’m a scholar, I’m a teacher at university, I’m the cool aunt, I was an emerging artist, I’m an activist, I’m a target [kind of random order]
Inga Bendukat is a theater scholar, freelance dramaturg, and in her free time, an activist. She is currently working on her PHD: „Jenseits der repräsentativen Öffentlichkeit. Erscheinungsräume des Anderen (working title).“ In it, through the perspective of queer theory she examines the disruption of idelologies and searches for a theater of Entunterwerfung (Foucault), resistance and solidary practice. Since March 2021 she receives a scholarship from Ad Infinitum at the Goethe University.
Am I an artist? I am a theorist [but not terrorist]. I am an activist. [I wish] Radical queer [all your friends are criminals]? I am a dreamer, planing the revolution from my desk. [no order]
Lela und Inga haben sich während der gemeinsamen Arbeit an und in der ada_kantine näher kennengelernt. Während Inga das Projekt auf einer theoretischen Ebene begleitet hat, hat Lela gemeinsam mit ihrer Gruppe andpartnersincrime immer wieder versucht mit performativen Setzungen die Grenzen zwischen Kunst und Reproduktionsarbeit auszuloten. Daraus entstanden ist ein mehrteiliges Projekt zu Themen der Versammlung und Kunst als Vergemeinschaftung, das im vergangenen Jahr am Künstlerhaus Mousonturm und dem Historischen Museum Frankfurt gezeigt wurde.
Gefördert vom Kulturamt der Stadt Frankfurt und dem #takecare Stipendium des Fonds Darstellende Künste.
Zu Gast bei „red park“ „Run the dish“
Für Ukeles stehen das Künstlerin- und Mutterdasein für zwei sich ausschließende Dynamiken des In-der-Welt-seins.
Avantgarde Künstler*innen sind autonom, progressiv und voranschreitend, sie definieren sich über ihre Einmaligkeit und müssen scheinbar unabhängig von materiellen Begebenheit agieren können.
Mutterschaft hingegen steht bei ihr für ein zyklisches System der Instandhaltung, für Abhängigkeit und Einschränkungen, für Routine, für Langeweile, für ein Agieren in einem Netz von Interdependenzen.
Kunst (so wie von der westlichen Moderne definiert) und Sorgearbeit sind sich also von ihrem Grundwesen her konträr und nicht vereinbar.
Seit einigen Jahren erfahren aber gerade Kunstformate, welche versuchen, diese Gegensätzlichkeit aufzuheben einen gesellschaftlichen Aufschwung. Immer mehr Künstler*innen versuchen aus der Dynamiken der ewig temporären, selbstreferentiellen Projektarbeit auszusteigen und ihre politischen und gesellschaftliche Anliegen in das Zentrum ihrer Arbeit zu stellen, immer mehr Kunstinstitutionen kommen nicht zuletzt aufgrund von schwindenden Besucher*innenzahlen in einen Legitimationsdruck und versuchen mit partizipativen, soziokulturellen Formaten ihr eigenes Schneekugeldasein zu verlassen.
Allen ist bewusst, dass wir als Gesellschaft dringend einen instandhaltenden Umgang mit den räumlichen und menschlichen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, erproben müssen.
Leider gehen diese sozialen Experimente von Kunstinstitutionen nicht selten mit einer symbolischen Ausbeutung von prekarisierten und marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen oder ihrer expliziten Exponierung einher. In den wenigsten Fällen wird hier so gearbeitet, dass es sich als nachhaltig und gesellschaftliche Zustände verändernd erweist. Zu oft wird die im Kunstmarkt übliche neoliberale Erschöpfung von menschlichen Ressourcen damit einfach auf weitere Kreise der Stadtgesellschaft ausgeweitet. Eine Instandhaltung findet nicht statt. Eine Neuformulierung ebenso wenig.
ART AS LABOUR – Mutterschaft als Institutionskritik.
Diskursformat und Publikation im Rahmen von „Care City“, Wunder der Prärie 2021, Mannheim.
Die Künstlerin Mierle Laderman Ukeles musste Ende der 1960er Jahre erfahren, dass Künstlerin und Muttersein als zwei sich gegenseitig ausschließende Seinsweisen auf dem freien Kunstmarkt galten.
Über fünfzig Jahre später ist Ukeles Kritik immer noch aktuell: Künstler*innen, die auch Mütter sind, gelten als nicht verlässlich und weniger belastbar, als Risiko für Produktionsprozesse. Wie müsste eine Kunstinstitution aussehen, die Reproduktion und nicht Produktion in das Zentrum ihres Kunstverständnisses stellt? Wie kann Mutterschaft und Sorgearbeit im Kunstbetrieb sichtbar gemacht werden? Wie lassen sich den neoliberalen Produktionsformen der Kunstbranche Strategien der Instandhaltung entgegensetzen?
Eleonora Herder und Inga Bendukat von andpartnersincrime haben gemeinsam mit Kompliz*innen aus Kunst, Aktivismus und Theorie dazu eingeladen, das »Manifesto for Maintenance Art« zu diskutieren, zu aktualisieren und umzuschreiben und neue Forderungen zur Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Kunst aufzustellen.
Mit Inputs von Marcia Breuer (Künstlerin und Initiatorin »Mehr Mütter für die Kunst«), Hannah Cooke (Künstlerin), Katrin Hylla (Regisseurin und Co-Verfasserin des Care Manifestes von 2018), Magdalena Kallenberger (Mitglied von MATERNAL FANTASIES), Olivia Hyunsin Kim (Performerin und Regisseurin), Mary Jirmanus Saba (Filmemacherin und Geografin, Mitautorin von »Why Call It Labor?«).
Die während der Akademie entstandene Publikation gibt es hier zum Download.
In der 24. Ausgabe der Zeitschrift für Medienwissenschaften reden wir über unsere Erfahrung mit der ada_kantine. In dem Gespräch zwischen Eleonora Herder, Tim Schuster, Inga Bendukat, Phries Künstler und Jana Mangold geht es um die Rolle von (uns als) Künstler*innen bei einem sozialen Nachbarschaftsprojekt. Thema des Hefts MEDIEN DER SORGE sind Praktiken und Techniken des Kümmerns und der Besorgnis, aber auch Politiken von Affekten, Formen der Regierung und ihre Verschränkungen.
Infos zum Heft und den Artikel als Gratis-pdf gibt es hier.
Mitten in der Coronakrise eröffnete die selbstorganisierte »ada_kantine« in Frankfurt/Main. Ein Beitrag von Eleonora Herder und Yannik Böckenförde in dem Magazin der Común Magazin für stadtpolitische Interventionen
Die Pandemie hat die gesellschaftliche Spaltung weiter vertieft. Wie können wir eine solidarische Zukunft gestalten, in der niemand mehr in prekären Verhältnissen leben muss? Gemeinsam mit der Dramaturgin und Künstlerin Eleonora Herder und der Co-Moderatorin dieser Folge, Maria Sitte, sprechen wir über ihr Label »andpartnersincrime«, die Rolle des Theaters in der Öffentlichkeit, Interventionen in den verwalteten Stadtraum sowie neue Formen der widerständigen Zusammenarbeit. Wie können wir unser gesellschaftliches Zusammenleben anders verhandeln? Wie lassen sich Lücken in unseren sozialen Netzen durch Fürsorge und Solidarität schließen? Und wie agiert die Kunst in diesem Feld, wenn sie nicht zur Sozialarbeit werden will, sondern sich ein widerständiges Potential erhält? Und was hat das alles mit Kochen und leckerem Essen zu tun? Eleonora Herder studierte Theaterregie in Barcelona und Krakau und absolvierte ihr Masterstudium am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Sie agiert unter dem Label »andpartnersincrime«. Dieses gehört zu den 6 Gründungsinitiativen der ada_kantine, einer solidarischen Kantine in der ehemaligen Akademie der Arbeit. Maria Sitte ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HfG Offenbach und Teil des kuratorischen Teams der Ausstellung »Aus heutiger Sicht«. Moderation: Felix Kosok